Читать онлайн «Ascheherz»

Автор Нина Блазон

Inhaltsverzeichnis

Teil I - traum und wirklichkeit

der blutmann

theater der nacht

katzenleben

staub und malachit

Teil II - der name des todes

eisenkuss

das gegenteil von einsamkeit

graumeer

gefängnis aus holz

wellen und flügel

die zweite wirklicheit

schwarzer honig

Teil III - indigo

fesseln

narben

elfenbeinmund

tribunal

der innere zirkel

die kammern der winde

zorva

Teil IV - loved

die goldene barke

dajee

blutherz

schwarz und weiß

winterblüten

das lied der dinge

Teil V - schnee und asche

mitternacht

falter aus glas

das versprechen

libellen im schnee

menschenherz

Copyright

»Und schließlich gibt es das älteste und tiefste Verlangen,

die große Flucht: dem Tod zu entrinnen. «

J. R. R. Tolkien

»Wer vor dem Tode flieht, läuft ihm nach. «

Demokrit

Teil I

traum und wirklichkeit

der blutmann

In den Nächten, die dem Blutmann gehörten, wagte Summer kein zweites Mal einzuschlafen. Je mehr sie sich fürchtete, desto öfter suchte er sie heim. Nie sah sie sein Gesicht, nur seine Hände nahm sie wahr. Allerdings konnte sie lediglich erahnen, wie kräftig sie waren. Schwarze Handschuhe, gegerbt von Blut, verbargen sie. Doch aus der Spannung der Finger, die den Schwertgriff umklammerten, sprach eine Entschlossenheit, die sie schaudern machte. Aus den Augenwinkeln nahm sie den dunklen Glanz des Schwertes wahr: schmal und scharf genug, um einen Kopf ohne viel Kraftaufwand vom Körper zu trennen. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie das Pochen ihres Blutes in ihren zusammengepressten Lippen spüren konnte. Sie schloss kurz die Augen und ergab sich dem verstörenden Geruch nach Metall und der Erkenntnis, dass Lady Tod sie schon mit eisenkaltem Mund auf den Nacken küsste. Zart berührte die Schneide ihre Haut und hob sich dann leicht, wie Atem holend. Der Schatten der Waffe schwebte vor ihr auf dem Boden, entfernte sich, je höher der Blutmann das Schwert hob.

Summer krümmte sich und spürte, wie ihre Knie sich noch fester in die feuchte, halb gefrorene Erde drückten. Weißer Atem legte einen Schleier vor ihre Augen. Erst am tiefsten Punkt ihres Atems lichtete er sich und ließ die Welt wieder grausam klar werden. Als sie blinzelte, erkannte sie, dass das gleißende schräge Winterlicht auf ihre bloßen Arme fiel. Benommen betrachtete sie die noch frischen Fesselspuren, tiefe Rillen, ein grotesker roter Schmuck, der sich um ihre Handgelenke wand.

Das war jedes Mal der Moment, in dem sie sich losriss: Sie holte keuchend Luft, kämpfte sich aus dem Schlaf hoch und floh in die schützende Dunkelheit der Wirklichkeit, floh aus dem Bett, auf bloßen Füßen durch das Zwielicht der Nacht zu dem Waschbecken neben der Tür. Erst als sie kaltes Wasser im Gesicht spürte, ließ die Angst ein wenig nach. Benommen trat sie dann auf den schmalen Balkon, der hoch über dem Ozean der Stadtlichter dahintrieb. Dort betastete sie immer und immer wieder ihre Handgelenke und vergewisserte sich, dass sie makellos waren - ohne Wunden und auch ohne alte Narben.

Niemals hatten Fesseln diese Haut berührt.

theater der nacht

Mit den Raubkatzen war in dieser Nacht nicht zu spaßen; die Dompteure hatten alle Hände voll zu tun. Ein gutes Zeichen, denn es bedeutete nicht nur, dass der Zuschauerraum voll war, sondern auch, dass vor und hinter den Kulissen eine besondere Anspannung herrschte. Es war gut für das Stück, das vor allem vom Auftritt der Tiere lebte, und gut für das Spiel der menschlichen Darsteller. Denn jetzt, in den ungewöhnlich heißen Tagen eines schläfrigen Herbstes, drohte sich auch bei der Theatertruppe eine gewisse Trägheit einzuschleichen.